Wie Alles begann
Der „gelernte“ Wanderer weiß es: Die besten Einfälle kommen beim Gehen. So muss es wohl auch Gustav Jäger und Lambert Märzroth „ergangen“ sein, als sie 1868 bei einer Wanderung über den Prätalsattel südlich der Veitsch in der Steiermark den Beschluss fassten, einen alpinen Verein zu gründen. Ein Jahr später war es dann soweit. Die Statuten wurden 1869 von der Niederösterreichischen k. u. k. Statthalterei genehmigt. Der „Österreichische Touristen-Club“ war geboren. Der Vereinszweck wurde mit „erleichterte, lehrreiche und möglichst billige Bereisung der österreichischen Gebirgswelt“ festgeschrieben. Das erste Werk des „Ö.T.C.“ war der Bau des Zirbitzkogelschutzhauses (Helmut-Erd-Schutzhaus) in den Seetaler Alpen, das bereits 1870 seiner Bestimmung übergeben wurde.
Die Hauptaufgabe des Vereins bestand aber vorerst in der touristischen Erschließung des Wienerwaldes und der Niederösterreichischen Voralpen, hier wiederum insbesondere des Schneeberges und der Rax. Die wichtigsten Akteure der touristischen Entwicklung im Wienerwald waren einerseits die lokalen Verschönerungsvereine, die mit ihrer Tätigkeit oft schon in den 1860er Jahren ansetzten und andererseits der Österreichische Touristenklub, der anfänglich von Wien aus überregional agierte. Man erkannten damals schon den hohen Erholungswert des großen Waldgebietes vor den Toren der Großstadt. Der Zeitpunkt dieser überall einsetzenden Vereinstätigkeit war aber nicht zufällig gewählt. Ausschlaggebend war das neu erlassene „Gesetz vom 15. November 1867 über das Vereinsrecht“, das die mehr oder minder ungehinderten Vereinsgründungen in der gesamten Monarchie erlaubte. „Ausländern, Frauenspersonen und Minderjährigen“ war allerdings die Mitgliedschaft in politischen Vereinen explizit verboten.
Die Anfänge der Tourismusentwicklung erfolgte an der Basis der Gesellschaft und wurde von vielen privaten Initiativen getragen. Die Mitglieder der Vereine rekrutierten sich aus der lokalen Ober- und Mittelschicht, wie Lehrern, Kaufleuten und Gewerbetreibenden. Ein übergeordnetes staatliches Interesse setzte erst in den 1890er Jahren ein.
Die ersten Markierungen und die ersten Karten
In dieser Anfangszeit begann der Österreichische Touristenklub im Wienerwald die ersten Wanderwege farblich zu kennzeichnen und Wegweiser aufzustellen, wobei gesagt werden muss, dass auch die örtlichen Verschönerungsvereine anfänglich Markierungstätigkeiten durchführten. In einem zweiten Schritt wurden Hütten und Aussichtswarten gebaut. Im Bericht über das „4. Clubjahr des Ö.T.C“ wird 1872 erstmals über Wegmarkierungen im Wienerwald geschrieben. So wurden unter anderem die Wege von Rodaun über den Kreuzsattel nach Sulz oder von Mödling auf den Anninger markiert. Die erste und somit älteste Markierung dürfte jene von Rekawinkel über Hochstraß, den Hasenriegel und Forsthof auf den Schöpfel gewesen sein. Sie trägt bis heute die Farbe Blau.
Der Ausgangspunkt Rekawinkel erklärt sich einerseits aus dem Umstand, dass von hier aus ein schöner Höhenzug zum Schöpfel (893 m) führt, andererseits aus dem alten Eisenbahnnetz der Monarchie. Rekawinkel besaß einen Bahnhof der k.k. privilegierte Kaiserin Elisabeth-Bahn (KEB), der späteren Westbahn. Sie nahm 1860, also nur zwölf Jahre vor der ersten Wegmarkierung ihren Betrieb auf und war neben der k.k. privilegierte Kaiser Franz Josephs-Bahn und der k.k. südlichen Staatsbahn der wichtigste Zubringer der Touristen in die Zentrallagen des Wienerwaldes. Der Bahnhof Pressbaum – eine Station vor Rekawinkel – hätte den Weg zum Schöpfel verlängert, der Bahnhof Neulengbach, damals die nächste Station nach Rekawinkel, bot keine attraktive Wandermöglichkeit, um auf den höchsten Berg des Wienerwaldes zu gelangen. Die Wanderroute Rekawinkel – Schöpfel entwickelte sich in den nächsten Jahrzehnten zu einem Wienerwaldklassiker.
1877 ließ der ÖTK den Nasenweg auf den Leopoldsberg sanieren. Der Weg wurde ursprünglich um 1800 von Charles Joseph Fürst de Ligne (1735-1814) angelegt und dann vom Nachbesitzer der Burg am Leopoldsberg, Fürst Johann I. Joseph von und zu Liechtenstein (1760-1836), saniert. Doch nach mehreren Jahrzehnten war der Weg wieder verfallen. Es lag daher auf der Hand, dass die Instandsetzung des Nasenweges, eines Wienerwaldweges mit „alpinem Charakter“, zu den prestigeträchtigen Aufgaben des noch jungen Vereins zählte.
Ende der 1870er Jahre waren bereits viele Wege markiert. Es war also höchste Zeit, dieses touristische Werk in Form einer Landkarte zu präsentieren. 1879 erschien die erste Wanderkarte des Österreichischen Touristen Club. Sie trug den sperrigen Titel: „Uebersichtskarte der markirten Wege des Wiener Waldgebietes zwischen Heiligenstadt-Klosterneuburg, St. Andrä-Wördern, Königstetten, Tulbing, Mauerbach, Neuwaldegg-Dornbach“, von Dr. E. Klotzberg, J. Schrittwieser und R. Sugg“. Die Karte enthielt alle neuen Wegmarkierungen des nördlichsten Teiles des Wienerwaldes zwischen Mauerbach und der Donau und wurde in der damals meistgelesenen Wochenzeitschrift „Hans Jörgl von Gumpoldskirchen“ lobend erwähnt. Der Artikel richtete sich an alle „Landpartiemacher“, ein damals gängiger Ausdruck für Wanderer. Der Inhalt der neuen Karte wurde genau beschrieben, die Karte selbst „als verläßlicher Wegweiser auf das Wärmste empfohlen.“ Das war eine Auszeichnung, da die Jörgl Briefe generell sehr kritisch und satirisch über die lokalen Geschehnisse berichteten.
Drei Jahre später erfolgte der nächste Kartendruck. Die Touristenkarte des Wienerwaldes von A. Silberhuber erschien 1882 in zwei Blättern. Blatt 1 deckte den nördlichen Teil des Wienerwaldes ab, Blatt 2 den südlichen. 1888, 1890, 1892, 1893 und 1910 – um nur einige zu nennen – folgten weitere „Touristenkarten des Wienerwaldes von A. Silberhuber“. Überblickt man den Zeitraum der 1870er und 1880er Jahre, so kann man sagen, dass in der ersten Dekade des ÖTK die Basis für das heutige Wegenetz im Wienerwald gelegt wurde.
Die Arbeiten umfassten aber nicht nur die handwerklichen Tätigkeiten in den Bergen. Konzepte zur Verbreitung des Alpinismus wurden erstellt und mit den anderen (alpinen) Vereinen abgestimmt. Leopold Schiestl, Hof- und Gerichtsadvokat und von 1870 bis 1880 Präsident des ÖTK, forderte in einer Festrede in Gmunden am 8. September 1877, dass der Tourismus durch Versammlungen weiterentwickelt und „zur Reife gebracht werden soll“. Die Aufgaben der alpinen Vereine definierte er mit:
- Abhaltung von Vorträgen
- Erstellung von Publikationen
- Aufbau von Bibliotheken
- Anlegen von Karten- und Panoramensammlungen
- Errichtung von Schutz- und Unterkunftshäusern
- Errichtung von Aussichtswarten
- Aufstellen von Wegweiserzeichen
- Anlegung und Verbesserung von Wegen
- Regelung des Führerwesens
- Erzielung von Fahrpreisermäßigungen
- Förderung der Lust und Liebe zum Bergsport.
Damit wurde klar vorgegeben, in welche Richtung sich der Tourismus – nicht nur im Wienerwald – entwickeln sollte.
Die ersten ÖTK-Sektionen im Wienerwald
Der ÖTK agierte anfänglich nur von Wien aus. Erst mit der Gründung von regionalen Teilorganisationen, den sogenannten Sektionen, konnten die Arbeiten teilweise ausgelagert werden. Den Anfang machte die 1878 gegründete Sektion Baden. Schwerpunkt der Wegearbeit war damals schon das Gebiet rund um den Hohen Lindkogel, besser als „Eisernes Tor“ bekannt. Ein wesentlicher Teil der Sektionsarbeit entfiel aber auch auf das 1883 erbaute und 1884 eröffnete Eiserne-Tor-Schutzhaus mit der angeschlossenen, aber schon 1856 errichteten Sinawarte.
1886 wurde die Sektion Wienerwald gegründet. Die konstituierende Versammlung fand im alten Kahlenberghotel statt. Angereist wurde mit einem Sonderzug der Zahnradbahn. Die neue Sektion hatte mit Abstand das größte Markierungsgebiet zu betreuen. Waren es anfänglich noch 20 Wege mit einer Gesamtlänge von 90 km, so steigerte sich diese Wegearbeit bis in die 1920er Jahre auf unglaubliche 262 Wege mit insgesamt 1000 km Länge. Dieses große, seinerzeit vom Triestingtal bis zum Leopoldsberg reichende Markierungsgebiet wurde mit 1500 Wegtafeln beschildert. Unter anderem wurde der Nasenweg auf den Leopoldsberg neuerlich instandgesetzt und der blau markierte Weg zur Sophienalpe neu angelegt. Auch der grün markierte „Holzknechtweg“ von Sievering zur Jägerwiese am Hermannskogel wurde von der Sektion Wienerwald in Zusammenarbeit mit der Alpinen Gesellschaft „D´Holzknecht“ 1890 gebaut, wovon der Holzknechtweg bis heute seinen Namen ableitet. Das Schöpfelschutzhaus (ehemals Franz-Krebs-Schutzhaus) und die darüber befindliche Matraswarte fallen seit jeher in das Aufgabengebiet dieser Sektion.
Seit dem Jahr 1899 fanden jährlich, später halbjährlich sogenannte „Niederösterreichische Markierungstage“ statt. Geladen waren alle in Niederösterreich tätigen Sektionen, alpinen Gesellschaften und die Vertreter der anderen alpinen Vereine. Bei diesen Tagungen wurden immer wieder die Grenzen der einzelnen Markierungsgebiete abgestimmt, Schwachpunkte aufgezeigt und die eigene Markierungstätigkeit zu Protokoll gegeben. So wurde auch am 12. Niederösterreichischen Markierungstag berichtet, dass die Sektion Wienerwald im Jahr 1913 insgesamt 304 km Wanderwege nachmarkiert hatte.
Nur wenige Monate nach der Gründung der Sektion Wienerwald wurde 1886 auch die Sektion Hainfeld gegründet, die aber noch vor 1900 wieder aufgelöst wurde. Ein zweiter Versuch im Jahre 1913 war erfolgreicher. Bereits bei der Gründungsversammlung wurden 100 Mitglieder gezählt. Das Markierungsgebiet der Sektion Hainfeld liegt aber nur zu einem kleinen Teil im Wienerwald. Der Großteil des Sektionsgebietes erstreckt sich südlich des Gölsentales, wo auch die von der Sektion betreute Hainfelder Hütte liegt.
Ein einheitliches Markierungssystem
Die ersten Markierungen bestanden anfänglich nur aus einem einzigen farbigen Strich. Auch Doppelfarben (rot/blau, rot/gelb, gelb/grün etc.) waren möglich. Manchmal wurden sogar die Farben SCHWARZ und BRAUN verwendet. 1883 wurde dann erstmals, sozusagen in einem Feldexperiment, der farbige Markierungsstrich – zur besseren Sichtbarkeit – weiß eingefasst. Durchgeführt wurden diese Arbeiten vom Österreichischen Touristenklub und seinen Sektionen, anfänglich aber auch von zahlreichen örtlichen Verschönerungsvereinen und Alpinen Gesellschaften. Bei der Vielzahl der Akteure und der Vielzahl der Farben konnte es schon zu Verwechslungen und Irritationen kommen. In der Österreichischen Touristenzeitung aus dem Jahr 1883 wird von einer „Irreleitung“ am Eisernen Tor durch eine schwarze Markierung berichtet. Der Artikel endet mit der Feststellung, dass „ein einheitliches Vorgehen dringend geboten scheine“.
Um die Kooperation und die einheitliche Vorgangsweise der Sektionen und alpinen Gesellschaften hinsichtlich der Tourismusförderung zu erhöhen, fanden von 1886 bis 1901 acht „Niederösterreichische Touristentage“ statt. Für das Markierungswesen besonders interessant, war der 2. Niederösterreichische Touristentag. Er wurde am 10. Juni 1888, nur wenige Monate vor der Fertigstellung der Habsburgwarte, im alten Kahlenberghotel abgehalten. Veranstalter war die ÖTK-Sektion Wienerwald. 12 Sektionen und 10 Alpine Gesellschaften nahmen daran teil. Unter anderem wurde beschlossen, dass nur mehr die Farben ROT, BLAU, GELB und GRÜN, jeweils in Verbindung mit einem weißen Ober- und Unterstrich als Markierungsfarben zu verwenden sind.
Dieser Beschluss hatte überregionale Bedeutung und das Corporate Design der Wanderwegmarkierung war geboren. Die Vereinbarung hatte rund 100 Jahre uneingeschränkten Bestand. Anfang der 1970er Jahre kamen dann die ersten Weitwanderwege in Österreich auf. Den Anfang machte der Nord-Süd-Weitwanderweg 05, der 1970 eröffnet wurde. Initiator und treibende Kraft war der Bildhauer Carl Hermann. Der Nord-Süd-Weitwanderweg und alle folgenden Weitwanderwege wurden zur besseren Unterscheidung von den regionalen Markierungen mit der Farbfolge ROT-WEISS-ROT markiert und stellten somit die erste Abweichung von der traditionellen Markierungsmethode dar. Bald erkannte man, dass diese ROT-WEISS-ROTE Markierung im Gebirge bei schlechten Witterungsbedingungen besser sichtbar war und stellte in den höheren Regionen das traditionelle Vierfarbensystem um. Zur Wegunterscheidung mussten nun aber Wegnummern mit schwarzer Farbe hinzugefügt werden.
Viele Gemeinden erkannten ab den 1980er Jahren wieder, dass Wandern den örtlichen Tourismus beleben kann und schufen eigene Gemeinderundwanderwege. Mit dem Slogan „Wanderbares Österreich“ und mit einer Unzahl gemeindeeigener und sehr unterschiedlicher Farbzeichen wurden nun zahlreiche Wanderwege im eigenen Gemeindegebiet beworben. Das Corporate Design der Alpinen Vereine, das 100 Jahre lang dem Wanderer verlässlich den Weg gewiesen hatte, kam ins Wanken. Im Wienerwald werden heute noch die ÖTK-Wege einheitlich nach dem traditionellen Vierfarbensystem markiert.
Die Sektion Klosterneuburg
Die Sektion Klosterneuburg wurde als letzte der im Wienerwald tätigen ÖTK-Sektionen gegründet. Hervorgegangen ist sie aus der „Alpinen Gesellschaft D´Hagenthaler“. Am 27. Mai 1895 fand die konstituierende Versammlung statt, am 18. Oktober wurde zur Gründungsfeier in das „Sectionslokale Stiftskellersaal“ eingeladen. Das Markierungsgebiet rund um Klosterneuburg hatte anfänglich nur eine Gesamtlänge von 100 km. Entsprechend bescheiden fiel auch der Sektionsbericht für das Jahr 1913 aus. 1936 wurde das Arbeitsgebiet auf rund 250 km erweitert. In diese Zeit fällt auch der Bau der Wiener Höhenstraße, der aber nur einen geringen Einfluss auf das damals schon 60 Jahre alte Wegenetz des ÖTK hatte. Die meisten markierten Wanderwege wurden überbrückt. Veränderungen gab es lediglich durch den gemeinsam mit der Höhenstraße errichteten Höhenstraßen-Begleitweg, der großteils in das markierte Wegenetz aufgenommen wurde. 1939 kam es abermals zu einer Gebietsvergrößerung. „Im Interesse der alpinen Sache und zur Entlastung der Sektion Wienerwald“ musste die Sektion Klosterneuburg neu Aufgaben im nördlichen Wienerwald übernehmen. Das Markierungsgebiet betrug nun knapp 500 km Gesamtlänge. Es beinhaltet seither das längste Wegenetz aller im Wienerwald tätigen Sektionen und Vereine.
Nach dem 2. Weltkrieg waren die Weg- und Markierungsverhältnisse noch schlimmer als nach dem 1. Weltkrieg. Waldbestände waren abgeholzt worden, Markierungen und Wegweisertafeln verschwanden oder wurden mit schwarzem Teer unleserlich gemacht. Davon zeugt heute noch eine fragmentarisch vorhandene Wegtafel an einer alten Eiche auf der Sophienalpe. Die Tafel dürfte aus der Zeit der 1930er Jahre stammen und wurde seinerzeit von der Sektion Wienerwald montiert. Nachdem das Gebiet dem ÖTK-Klosterneuburg zugewiesen wurde, hatte man den Sektionsnamen mit einem Blechschild überdeckt. Der so berichtigte „Absender“ lautete nun „Sektion Klosterneuburg“. Vor dem Ende des 2. Weltkrieges wurde die Tafel mit Teer geschwärzt, um den heranrückenden Truppen die Orientierung zu erschweren.
Die anderen Alpinen Vereine
Neben dem Österreichischen Touristenklub, der den Großteil dieses Landschaftsgebietes abdeckt, gab und gibt es im Wienerwald auch noch andere Akteure, die zur touristischen Entwicklung beitrugen. Der Verein der Naturfreunde in Mödling, später ergänzt durch den Annex „vom Jahre 1877“, war schon ein Jahr vor der ÖTK-Sektion Baden tätig geworden. Dieser lokale, unabhängige, alpine Verein, der auch die Aktivitäten eines Verschönerungsvereins übernahm, bemühte sich um die Erschließung des Anninger- und Höllensteingebirges. In Gaaden, Gumpoldskirchen, Gießhübl und in der Hinterbrühl bildeten sich eigene Sektionen. Der Verein der Naturfreunde Mödling imitierte auf kleinem Raum die großen Alpinen Vereine. Er betreut das Anningerhaus und die Waldrast Krauste Linde. Der seit dem Jahr 1877 existierende Verein ist nicht zu verwechseln mit dem Touristenverein „Die Naturfreunde“ (heute: Naturfreunde Österreich), der erst 1895 gegründet wurde.
Der Touristenverein „Die Naturfreunde“ wurde rund zwanzig Jahre nach den ersten ÖTK-Aktivitäten im Wienerwald gegründet, also zu einer Zeit, als die touristische Pionierarbeit bereits weitgehend abgeschlossen waren. Die Ortsgruppe Purkersdorf wurde 1920, die Ortsgruppe St. Veit an der Gölsen erst 1922 gegründet.
Auch der Alpenverein-Gebirgsverein, 1890 gegründet, gehört nicht zu den gestaltenden Wienerwaldpionieren, wiewohl er hier eine sehr rege Wandertätigkeit entfaltete. Er betreibt heute die Alpinschule Peilstein südlich von Alland mit rund 300 Ausbildungskursen jährlich sowie die 1930 eröffnete Rudolf-Proksch-Hütte am Pfaffstättner Kogel. 1897 ließ er auch die einst hölzerne Aussichtswarte am Tulbinger Kogel errichten. Die ÖAV-Sektion Liesing wurde 1904 gegründet und 1920 auf ÖAV-Sektion Liesing-Perchtoldsdorf erweitert. Sie betreibt die 1912 erbaute Kammersteiner Hütte.
Ein Blick in die Tagespresse der Jahrhundertwende lässt über das dicht organisierte Tourenangebot der vielen alpinen Vereine und Gesellschaften staunen. Die geführten Wanderungen wurden mit Treffpunkt und Abgangszeit einige Tage vorher in verschiedenen Zeitungen angekündigt. Die Ausflugsziele lagen im Wienerwald und den daran anschließenden Voralpen.
Die ersten Aussichtswarten
Die touristische Entwicklung im Wienerwald hat natürlich noch wesentlich mehr Facetten als nur die Betreuung der Wanderwege. Die verfügbaren Verkehrsmittel und der geplante, aber nicht vollzogene Ausbau des Eisenbahnnetzes, Fahrpreisermäßigungen, Sommerfrische und Sommerurlaub, Wintersport und Wintertourismus, Rad- und Automobiltourismus, die Qualitätsentwicklung in der Gastronomie und Hotellerie sowie das touristische Marketing seien hier nur beispielhaft aufgezählt.
Ein wesentlicher Aspekt des beginnenden Wienerwaldtourismus war aber vor allem der Bau von Aussichtswarten. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang nicht nur das frühe Entstehen dieser Bauwerke, sondern auch die ungewöhnliche Dichte auf einem sehr begrenzten Landschaftsraum. Die Fläche dieses Wald- und Wiesengebietes, ausgehend von Höflein an der Donau bis Wilhelmsburg auf der einen, und bis Hirtenberg auf der anderen Seite, beträgt rund 1.200 km². Zum Vergleich: Wien hat eine Fläche von 415 km², Berlin von 892 km². Auf einer Fläche, die lediglich das Dreifache der heutigen Gesamtausdehnung Wiens ausmacht, gab es vor 1914 insgesamt 28 Aussichtswarten. Die meisten entstanden in den 1880er und 1890er Jahren, einige erst etwas später. Die älteste, heute noch existierende Warte ist die Sinawarte am Hohen Lindkogel/Eisernes Tor. Sie wurde schon 1856 errichtet und wird von der Sektion Baden betreut. Die architektonisch aufwendigste Warte ist die Habsburgwarte am Hermannskogel. Sie wurde vom ÖTK errichtet und 1888 fertiggestellt.
Christian Matzka beschreibt in seiner wissenschaftlichen Veröffentlichung „Tourismus im Wienerwald (1850-1914)“ die Situation sehr plastisch:
„Ein Netz von Aussichtswarten überzog den Wienerwald vor dem Ersten Weltkrieg. Die Besucher konnten von der einen Warte zur anderen blicken und sich fast wie in mittelalterlichen Zeiten durch Zeichen verständigen. Der Wienerwald wirkt zu dieser Zeit wie eine Festung, die an den Rändern mit den Aussichtstürmen befestigt ist. Im inneren zentralen Wienerwald stehen die Türme wie Bergfriede der mittelalterlichen Burgen und ermöglichen die Beobachtung des gesamten Raumes. Man könnte den Vergleich zum Territorialdenken früherer Zeiten heranziehen, da die Alpinen Vereine ihre Arbeits- und Sektionsgebiete abgrenzten und mit Bauten im Raum kenntlich machten. Die Vereinsgebiete wirkten wie Herrschaftsgebiete, die von den Aussichtstürmen aus überblickt werden konnten“.
Den Aussichtswarten folgten im selben Zeitraum 12 Schutz- und Unterkunftshäuser der Alpinen Vereine und der Verschönerungsvereine. Private Gaststätten sind nicht mitgezählt.
Heute beträgt das historisch gewachsene und zum Großteil vom Österreichischem Touristenklub betreute Wegenetz im Wienerwald rund 1700 km. Es ist mittlerweile zu einem wertvollen Kulturgut in einem einzigartigen Kulturraum geworden.
Noch einmal darf Christian Matzka zitiert werden, der die Situation der Alpinen Verein im Wienerwald wie folgt zusammenfasst:
„Die Entstehung der Vereine verlief entlang der sozialen und politischen Bruchstellen der Gesellschaft… Die Mitglieder der verschiedenen Vereine traten einander gegenseitig bei, um die Tätigkeiten zu unterstützen. Außerdem hatten die Vereine Sitz und Stimme in der Jahreshauptversammlung der anderen Vereine und konnten so die Aktivitäten der „Konkurrenz“ mitverfolgen. Es entstand eine durch die gegenseitigen Mitgliedschaften zusammenhängende touristische Gemeinde.“
Quellenangaben
- Österreichischer Touristenklub, Otto W. Steiner, 100 Jahre Österreichischer Touristenklub, 1869-1969, Großdruckerei und Verlagshaus Waldheim-Eberle, Wien 1969
- Österreichischer Touristenklub, Sektion Klosterneuburg, Ing Erich Bauer, 100 Jahre Österreichischer Touristenklub, Sektion Klosterneuburg, 1895-1995, Eigenverlag, Klosterneuburg 1995
- Christian Matzka, Tourismus im Wienerwald (1850-1914), in der Reihe: Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde, Band 42, Selbstverlag des NÖ Institutes für Landeskunde, St. Pölten 2007
- Jahrbuch des ÖTK 9 (1878), In: Christian Matzka, Tourismus im Wienerwald (1850-1914), in der Reihe: Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde, Band 42, Selbstverlag des NÖ Institutes für Landeskunde, St. Pölten 2007
- Herwig Baumgartner, Wegeverzeichnis für Niederösterreich, Wien und das Burgenland, Eigenverlag, Wien 2007
- Andreas Brudnjak, Aussichtswartenführer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Band 2, 1. Auflage, Kral-Verlag, Berndorf 2013
- Alpenvereinseinteilung der Ostalpen, Wikipedia
- Von Wien nach München: Reisehandbuch für alle Stationen der Kaiserin Elisabeth-Westbahn und der k. baier. Staatsbahn; nebst Donaufahrt von Passau nach Wien, Literarisch-artistische Abth. des Österr. Lloyd, Triest 1861, ÖNB Digital/Österreichische Nationalbibliothek
- Österreichische Touristenzeitung, III. Band, Nr. 24/1883, V. Band, Nr. 5/1885, VI. Band, Nr. 4/1886, Nr. 10/1986, Nr. 20/1886, XV. Band, Nr. 12/1895, XVI. Band, Nr. 21/1896, XXXIII Band, Nr. 24/1913, XXXIV. Band, Nr. 12/1914, alle ANNO/Österreichische Nationalbibliothek, Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online
- Mödlinger Zeitung, 7. Juli 1912, ANNO/Österreichische Nationalbibliothek, Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online
- Der Gebirgsfreund, 42. Jahrgang, Folge 3/1931, ANNO/Österreichische Nationalbibliothek, Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online
- Deutsches Volksblatt, 8. Dezember 1911, ANNO/Österreichische Nationalbibliothek, Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online
Bildnachweise
- Fotos: J. Wruß,
- Grafiken: J. Wruß
- Historische Ansichtskarten: AKON/Österreichische Nationalbibliothek