Zwischen Häuserl am Roan und Häuserl am Stoan: Sievering – Dreimarkstein – Sievering
Die hier beschriebene Wanderempfehlung ist ein Auszeitweg. Der Weg lässt alle Glück versprechenden, technischen Errungenschaften unserer ruhelosen Gegenwart hinter sich und leitet völlig unaufgeregt durch Zeit und Raum unserer Groß- und Urgroßeltern. Besonders Mutige schalten hier ihr Smartphone aus.
Ausgangspunkt dieser Wanderung ist die Haltestelle „Sievering“ der Autobuslinie 39A. Hier beginnt auch die Agnesgasse, die nach Neustift am Walde führt und die am Ende dieses Ausfluges als Rückweg dienen wird. Man verlässt die platzförmige Erweiterung auf der Sieveringer Straße durch den sogenannten „Malerwinkel“. Die malerische Straßenenge der Sieveringer Straße mit dem alten Hausbestand war immer schon ein beliebtes Bildmotiv, weil sich hier der alte dörfliche Charakter Obersieverings von seiner schönsten Seite zeigt. Hier sieht man auch noch die gut erhaltene, offene Fließstrecke des Erbsenbaches. Sie ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Wienerwaldbäche noch im 19. Jahrhundert in das Ortbild der Vororte integriert waren. Ein tief liegendes, schmales Bachbett wird von alten Häusern und Wirtschaftsgebäuden gesäumt. Der Zugang erfolgt über Stege und kleine Brücken. Der Bach fließt förmlich an den Fenstern vorbei, manchmal sogar unter den Häusern hindurch. Diese Bachromantik, entstanden aus zweckhaften Überlegungen und nicht aufgrund ästhetischer Erwägungen, hatte aber auch ihren Preis. Die immer wieder kehrenden Hochwässer richteten oft großen Schaden an, so auch am 12. August 1959, als sich die Wassermassen des Erbsenbaches über die Sieveringer Straße talwärts ergossen.
Ein kurzes Stück weiter nach der Straßenenge mündet von rechts der Gspöttgraben ein. Ab hier beginnt die markierte Wanderroute. Der anfangs grün markierte Weg Richtung Hermannskogel und Jägerwiese folgt dem gewundenen Lauf des Erbsenbaches (Uferweg), kommt bei dem großen Gebäude des ehemaligen Linienamtes vorbei und führt entlang des Spießweges bis zum Wegknotenpunkt „Zierleiten“. Der Bachlauf wurde hier schon um 1900 erstmals reguliert. Diese Regulierungsmaßnahmen dienten dem Hochwasserschutz, noch mehr aber der Eisgewinnung im Winter. Der Bachlauf wurde mit mehreren kleinen Wehren unterbrochen und bildete im Winter eine kleine Kette von Eisteichen, auf denen man bei ausreichender Eisstärke auch eislaufen konnte. Diese wassertechnisch und landschaftlich anmutige Bachlandschaft ist heute fast unverändert erhalten und bildet gemeinsam mit der alten Sieveringer Straße und ihrem krummen Eisengeländer ein 100 Jahre altes Landschaftsensemble am Rande der Großstadt.
Beim Wegknotenpunkt Zierleiten angekommen, quert die grüne Markierung die Sieveringer Straße. Die hier beschriebene Wanderempfehlung folgt jedoch dem nach links abzweigenden, rot markierten Waldweg hinauf zum Dreimarkstein und zum Häuserl am Roan. Auffallend ist die große Ruhe, die sich hier wohltuend ausbreitet. Mit Zierleiten wird der nördliche Abhang des Neuberges (418 m) bezeichnet, der sich zwischen Dreimarkstein (454 m) und Salmannsdorfer Höhe befindet. Der heute mit Selbstverständlichkeit wahrgenommene Waldhang war aber einst eine große Wiese, deren westlichster Eckpunkt jener dreieckige Grenzstein war, der heute noch am Dreimarkstein vor dem Häuserl am Roan steht. Der Weg folgt dem tief eingeschnittenen Waldgraben des Spießbaches, quert die Höhenstraße und endet schließlich beim Häuserl am Roan. Hier tritt man aus dem Wald und wird, über die Höhenstraße hinwegblickend, mit einem großartigen Ausblick auf Wien belohnt.
Der höchste Punkt dieser Rundwanderung ist nun erreicht, ab nun geht es wieder bergab Richtung Sievering. Auch dieser Weg ist rot markiert. Er führt anfänglich oberhalb des Höhenstraßenparkplatzes vorbei, unterquert die Zierleitenbrücke und passiert kurz darauf die vom Kochdampf stets beschlagenen Küchenfenster des Häuserl am Stoan.
Auch der österreichische Komponist Robert Stolz (1880-1975) musste diese Wienerwaldgegend sehr ins Herz geschlossen haben. Er hat den beiden Gaststätten mit seinem Wienerlied Zwischen Häuserl am Roan und Häuserl am Stoan ein kleines musikalisches Denkmal gesetzt.
Das Häuserl am Stoan ist gleichsam der Vatikan der bodenständigen Wienerwaldgastronomie. Im Sommer besticht es durch seinen Gastgarten mit einem herrlichen Blick auf das nahe Krottenbachtal und das ferne Stadtzentrum von Wien, im Winter durch die mit Holz beheizte Gaststube. Wer die vier kargen Betonstufen erklommen, und sich durch den alten doppeltürigen Windfang gezwängt hat, steht schlagartig im Epizentrum der wirtshäuslichen Gemütlichkeit. Empfangen wird man hier von einem schweren, eisernen Ofen, der im Winter die Eichen- und Buchenscheite in gnadenlose Wärmestrahlung verwandelt. Sie stammen aus dem vor der Haustür wuchernden Wald, der diese urige Idylle fast zu verschlingen droht. Der Gast ist hier König und er wird ständig beobachtet. Vielleicht nicht immer vom Kellner, aber mit Sicherheit von den Zwergen, Puppen und Hexen, die zum allgegenwärtigen Stammpublikum zählen. Sie stehen am Kamin, sitzen auf den alten Regalböden oder schweben über den mit dampfenden Speisen überladenen und wackeligen Holztischen. Die instabile Tischstatik ist die direkte Folge des schwarzöligen Bretterbodens. Ihm ist die glatte Holzoberfläche längst abhanden gekommen, dafür führen aber die eingetretenen Gehstraßen mit Sicherheit zu den gemütlichsten Ecken im Lokal.
Das alte Wienerwaldlokal liegt auf der Anhöhe des Neuberges (418 m) unweit des etwas höheren und bekannteren Dreimarksteins (454 m). Seine Geschichte beginnt in der Zeittafel ungefähr dort, wo der Erste Weltkrieg endet und Wien ein eigenes Bundesland wurde. Damals gehörte der sonn- und feiertägliche Ausflug im Kreis der Familie oder mit Freunden zum Höhepunkt der Woche. Die „Partie am Sonntag“ begann meist bei den Endstellen der Straßenbahnlinien.
Von den „Ausflüglern“ profitierten nicht nur die Wirte in den Vororten, sondern auch jene, die im Wienerwald ihre Lokale hatten – und davon gab es in den 1920er und 1930er Jahren weit mehr als heute. Auch am Neuberg wurde 1923 ein nur 4 m² großes „Häuserl“ eröffnet. Und weil die Geschäfte so gut gingen, entschlossen sich die Wirtsleute, neben ihrem ganz kleinen Häuserl ein wesentlich größeres Häuserl zu errichten. 1926 wurde eine alte Kriegsbaracke aus dem Ersten Weltkrieg in Wiener Neustadt günstig erstanden, zerlegt und am Neuberg als Caffee-Restaurant „Häuserl am Stoan – Richterwarte“ wieder aufgebaut – wo sie auch heute noch steht. Geworben wurde mit gutem und reichlichem Essen, einem Alpengarten und dem großartigen Blick auf Wien. Der Name „am Stoan“ leitet sich von den steinigen Bodenverhältnissen ab, die bei den Bauarbeiten große Probleme bereiteten. Schließlich steht das Haus am oberen Rand eines aufgelassenen Steinbruches.
Zehn Jahre nach der Fertigstellung des Neubaus ertönte neuerlich großer Baulärm im Wald. Der austrofaschistische Ständestaat verwirklichte sein Lieblingsstraßenprojekt, die Wiener Höhenstraße. Die damals noble Straße kam den Freizeitbedürfnissen der automobilen Oberschicht entgegen. Für das wandernde und staunende „Fußvolk“ wurde hingegen der Höhenstraßen-Begleitweg errichtet, der immer in Sichtweite der Straße angelegt wurde. Die eleganten und aussichtsreichen Kurven dieses straßenbaulichen Prestigeprojekts erreichten alle Sehenswürdigkeiten und Gaststätten der Region. Nur das Häuserl am Stoan blieb etwas unterhalb der Straße links liegen. Vom Grüß di a Gott Wirt kommend wendet sich die Straße fast furchtsam in einer steilen Rechtskurve vom Häuserl am Stoan ab und dem Häuserl am Roan zu. Hier wurden die großen schwarzen Limousinen am architektonisch großzügig gestalteten Parkplatz von einem sogenannten Wagenrufer eingewiesen. Für die wandernden Fußgänger am Höhenstraßen-Begleitweg hatte man lediglich einen Durchgang unter der Zierleitenbrücke gebaut, der zum Häuserl am Stoan führt. Dem Lokal hat es bis heute nicht geschadet. Es ist zu einem lebenden Denkmal der Volksverbundenheit herangewachsen.
Der rot markierte Wanderweg führt nun geradeaus am bewaldeten Höhenrücken des Neuberges entlang und senkt sich dann über die Salmannsdorfer Höhe hinunter bis zur Agnesgasse, über die man wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. In der unteren Weghälfte streift der Weg die Weinrieden von Neustift am Walde. Hier öffnet sich ein herrlicher Blick auf das alte Winzerdorf und das dahinterliegende Stadtzentrum. Die Rebstöcke des Krottenbachtales sind am schönsten, wenn sie Mitte bis Ende Oktober ein rot-gelbes Blättermeer bilden. Dann wird das Klischee von der weinseligen Vorstadtromantik des alten Wien von der Wirklichkeit noch bei Weitem übertroffen.
Wegtyp: Rundweg
Weglänge: 5 km
Wegzeit: 1 ½ h
Markierungsfolge: grün – rot